Der Amazonas-Regenwald als Wolkenmaschine: Wie Gewitter und Pflanzen-Ausdünstungen Kondensationskeime erzeugen

Zwei Studien unter Mitwirkung der Goethe-Universität Frankfurt, des Max-Planck-Instituts für Chemie, der Universität Helsinki und des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung klären zusammen mit brasilianischen Partnerinstitutionen einen Mechanismus auf, der Auswirkungen auf das Klima hat.

4. Dezember 2024

Der Regenwald im Amazonas dünstet riesige Mengen von gasförmigem Isopren aus. Bislang galt, dass dieses Molekül nicht weit in der Atmosphäre verbreitet wird, da es unter Lichteinwirkung rasch zerfällt. Die Messkampagne CAFE-Brazil lieferte Daten für zwei Studien, die jetzt als Titelgeschichte der Zeitschrift Nature erscheinen und das anders sehen: Demnach transportieren nächtliche Gewitter das Isopren in bis zu 15 Kilometer Höhe. Dort reagiert es zu chemischen Verbindungen, die in der Lage sind, große Mengen neuer Aerosolpartikel zu bilden. Diese wachsen weiter an und tragen als Kondensationskeime zur Bildung von Wolken bei. Der Mechanismus dürfte auch Auswirkungen auf das Klima haben. 

Gemeinsame Pressemeldung des Max-Planck-Instituts für Chemie, der Goethe-Universität Frankfurt, der Universität Helsinki und des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung

FRANKFURT/MAINZ/HELSINKI/LEIPZIG. Wer hat sich bei einem sommerlichen Spaziergang durch den Wald nicht schon einmal über den würzigen Geruch in der Luft gefreut? Mitverantwortlich für diesen typischen Duft sind Terpene, eine Gruppe von Substanzen, die etwa im Baumharz oder in ätherischen Pflanzenölen vorkommen. Ihr Grundbaustein und gleichzeitig das am häufigsten vorkommende Molekül ist das sogenannte Isopren. Schätzungen zufolge geben Pflanzen pro Jahr weltweit 500 bis 600 Millionen Tonnen Isopren in ihre Umgebung ab, es macht damit etwa die Hälfte der gesamten Emissionen von gasförmigen organischen Verbindungen der Pflanzen aus. „Allein der Amazonas-Regenwald ist für mehr als ein Viertel dieser Emissionen verantwortlich“, erklärt Atmosphärenforscher Prof. Joachim Curtius von der Goethe-Universität Frankfurt.

Bislang dachte man, dass das Isopren im Amazonas-Gebiet rasch abgebaut wird und nicht in höhere Luftschichten gelangt. Denn tagsüber bilden sich unter dem Einfluss der Sonne in der bodennahen Atmosphäre sogenannte Hydroxyl-Radikale. Diese sind sehr reaktionsfreudig und zerstören die Isopren-Moleküle binnen Stunden. „Wir haben nun aber festgestellt, dass das nur ein Teil der Wahrheit ist“, sagt Curtius. „Auch nachts sind nämlich noch erhebliche Mengen Isopren im Regenwald vorhanden. Und diese Moleküle können zu einem erheblichen Teil in höhere Atmosphärenschichten befördert werden.“

Gewitter wirken wie Staubsauger

Verantwortlich dafür sind tropische Gewitter, die sich nachts über dem Regenwald zusammenbrauen. Sie saugen das Isopren wie ein Staubsauger an und verfrachten es in acht bis 15 Kilometer Höhe. Sobald die Sonne aufgeht, entstehen Hydroxyl-Radikale, die mit dem Isopren reagieren. Bei den extrem niedrigen Temperaturen, die dort herrschen, werden die Regenwald-Moleküle dadurch aber in andere Verbindungen umgewandelt als am Boden. Sie verbinden sich mit Stickoxiden, die in den Gewittern durch Blitzeinwirkung entstehen. Viele dieser Moleküle können sich dann zu winzigen Partikeln von nur wenigen Nanometern Größe zusammenlagern, den Aerosolpartikeln. Diese Partikel wiederum wachsen im Laufe der Zeit an und dienen dann als Kondensationskeime für Wasserdampf – sie spielen damit eine wichtige Rolle für die Bildung von Wolken in den Tropen.

„Wir haben diese Abläufe mit Hilfe von Forschungsflügen aufklären können, die zwei Stunden vor Sonnenaufgang begannen und dann den ganzen Tag über andauerten“, erläutert Prof. Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Er leitet das Forschungsprojekt CAFE-Brazil (Chemistry of the Atmosphere: Field Experiment in Brazil), in dem ein internationales Forschungsteam Daten zu den chemischen Prozessen in der Atmosphäre über dem Amazonasregenwald sammelte. „Dabei konnten wir in der Luft, die in der Höhe wieder aus den Gewittern herausfließt, erhebliche Mengen an Isopren nachweisen, aus dem sich dann nach mehreren chemischen Reaktionen rasch die neuen Aerosolpartikel formten.“

Einfluss auf die Bildung von Wolken über dem Ozean möglich

Curtius und Lelieveld sind nicht nur Partner in CAFE-Brazil, sondern auch am sogenannten CLOUD-Konsortium beteiligt. Darin untersuchen mehr als 20 Arbeitsgruppen klimarelevante chemische Prozesse in der Atmosphäre. Sie stellen dazu die Bedingungen, die in der Atmosphäre herrschen, in der Aerosol- und Wolken-Experimentierkammer des CERN in Genf nach. Mit Hilfe dieser Kammer lässt sich im Detail analysieren, welche Reaktionen durch das Sonnenlicht ausgelöst werden. „Wir konnten so exakt bestimmen, mit welcher Rate sich die Aerosolpartikel aus den Isopren-Produkten bilden“, erklärt der Atmosphärenforscher Dr. Xu-Cheng He, der die Versuche mit Isopren leitet. „Interessanterweise zeigte sich dabei, dass die Bildung der Aerosolpartikel schon durch extrem geringe Mengen von Schwefelsäure und Jod-Oxosäuren, die in der Atmosphäre häufig vorkommen, um den Faktor 100 beschleunigt wird. Diese Moleküle können daher gemeinsam die Bildung von Wolken über den Ozeanen beeinflussen – ein Prozess, der bei Vorhersage von Klimaveränderungen und deren Folgen mit großer Unsicherheit behaftet ist.“

Schwefelsäure wird in der Atmosphäre aus verschiedenen schwefelhaltigen Substanzen gebildet. Es kann vor allem durch die Reaktion von Schwefeldioxid mit Hydroxyl-Radikalen entstehen. Die Frankfurter Arbeitsgruppe war im CLOUD-Experiment für Messung der äußerst niedrigen Schwefelsäure-Konzentrationen verantwortlich, und das Mainzer Team führte die Messungen der reaktiven Hydroxyl-Radikalen durch.

Die Partikel, die sich aus dem Isopren hoch über dem Amazonas-Regenwald bilden, können durch die Winde in dieser Höhe bis zu Tausende von Kilometern verbreitet werden. Sie haben also vermutlich noch in großen Entfernungen einen Einfluss auf die Wolkenbildung. Da Wolken je nach Beschaffenheit und Höhe die Sonnenstrahlung abschirmen oder die Abgabe von Wärme ins All verhindern, spielen sie für das Klima eine große Rolle. Die Forschenden hoffen daher, mit ihren Erkenntnissen zu einer Verbesserung der Klimamodelle beizutragen.

Daraus folgt, wie auch aus den Ergebnissen des CAFE-Brazil-Projekts, dass eine weitere Abholzung des Amazonas-Regenwaldes in doppelter Hinsicht schädlich für das Klima sein könnte. „Einerseits werden dadurch Treibhausgase frei, weil der Wald als Kohlendioxid-Speicher ausfällt“, betont Curtius. „Andererseits werden durch die Rodung sowohl der Wasserkreislauf als auch die Isopren-Emissionen beeinträchtigt, was den Klimawandel weiter antreibt.“
 

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