Fragen und Antworten zum ARD-Monitor-Beitrag vom 17.1.2019, „Feinstaub durch Landwirtschaft: Seit Jahren verharmlost“
1. Wie entsteht Feinstaub aus Ammoniak?
Ammoniak wird bei der Verwendung von Gülle und Dünger als Gas freigesetzt. In der Atmosphäre reagiert dieses Gas mit Schwefeldioxid und Stickoxiden bzw. deren Oxidationsprodukten (Schwefelsäure, Salpetersäure) und zu Salzen wie Ammoniumsulfat und Ammoniumnitrat, die wesentlich zur Bildung und Zusammensetzung von Feinstaub (PM2.5) beitragen. In der Atmosphäre vermischen sich und reagieren Ammoniak und Ammoniumsalze auch mit weiteren Feinstaubkomponenten wie Ruß und sekundären organischen Aerosolen (Pöschl, 2005; Pöschl und Shiraiwa, 2015; Seinfeld und Pandis, 2016; Shiraiwa et al. 2017).
2. Wie berechnen Sie die Feinstaubmenge und die Partikelgröße?
Dazu nutzen wir ein hochentwickeltes und bewährtes Atmosphärenchemiemodell (Pozzer et al. 2012). Es beschreibt die Freisetzung, den Transport und die chemischen Reaktionen von Luftschadstoffen, einschließlich Gasen und Aerosolen in der Atmosphäre auf regionalen und globalen Skalen. Daraus ergibt sich die geografische Verteilung von Feinstaubpartikeln, ihre Größe in Mikrometern und ihre Konzentration in Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Um den Einfluss bestimmter Schadstoffe und Schadstoffquellen zu ermitteln, können die Emissionsraten variiert und entsprechende Differenzen errechnet werden (z.B.: Emissionsszenarien mit oder ohne Ammoniak aus landwirtschaftlichen Quellen).
3. Was ist der Zusammenhang zwischen Feinstaub und Mortalität?
Die negativen Auswirkungen von Feinstaub auf die menschliche Gesundheit sind seit vielen Jahren bekannt und durch medizinische und biologische Studien belegt. Epidemiologische Studien, die von unabhängigen Forschergruppen in zahlreichen Ländern durchgeführt werden, zeigen weltweit einen sehr deutlichen und statistisch abgesicherten Zusammenhang zwischen der Mortalität (Sterberate) und der mittleren Feinstaubkonzentration in der Umgebungsluft (World Health Organisation 2016, Cohen et al. 2017, Burnett et al. 2018, Schulz et al. 2018, Umweltbundesamt 2019).
4. Was sind die Ergebnisse Ihrer aktuellen Untersuchungen?
Unsere Berechnungen ergeben, dass in Deutschland rund 120.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr auf Feinstaubbelastung zurückzuführen sind. Weltweit liegen die aktuellsten Berechnungen vorzeitiger Todesfälle durch Feinstaubbelastung bei knapp 9 Millionen pro Jahr. Die Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Untersuchungen und weltweit unabhängig durchgeführten Studien (Lelieveld et al. 2015, Cohen et al. 2017, Burnett et al. 2018).
5. Aus welchen Untersuchungen folgt der Anteil landwirtschaftlicher Emissionen an der auf Feinstaub zurückzuführenden Mortalität?
Unsere Abschätzung des Anteils landwirtschaftlicher Emissionen an der Feinstaubbelastung und der damit verbundenen Mortalität wurde bereits in früheren Untersuchungen ermittelt und veröffentlicht. Sie liegt für Deutschland bei etwa 45% (Lelieveld et al. 2015, Pozzer et al. 2017, Giannadaki et al. 2018).
6. Wie berechnen Sie die Anzahl vorzeitiger Todesfälle?
Die Anzahl vorzeitiger Todesfälle bzw. die Mortalität, welche auf die Belastung mit Feinstaub zurückgeführt werden kann, wird in zwei Schritten berechnet. Zunächst wird mithilfe eines Atmosphärenchemiemodells errechnet, wie viel Feinstaub in die Luft emittiert bzw. dort gebildet wird. Die Feinstaubbelastung wird dann in ein statistisches Modell auf der Grundlage epidemiologischer Daten eingesetzt. Daraus lässt sich die auf Feinstaubbelastung rückführbare Mortalität berechnen. Die angewandten Methoden und Modelle sind seit Jahren erprobt und wissenschaftlich etabliert. Sie werden in unabhängigen Studien weltweit eingesetzt (siehe Lelieveld et al. 2015, Cohen et al. 2017, Burnett et al. 2018 und darin angeführte Referenzen).
7. Warum gibt es neue Zahlen?
Wir haben unsere Berechnungen aktualisiert, nachdem eine umfassende epidemiologische Studie, die im vergangenen Jahr erschien, die krankheitsspezifischen Gefährdungsraten durch Feinstaub gegenüber früheren Werten deutlich nach oben korrigierte (Burnett et al., 2018). Da in diese Studie 41 umfangreiche Fallgruppenstudien aus 16 Ländern einschließlich China einflossen, bietet sie die beste derzeit verfügbare Datengrundlage.
8. Welche wissenschaftlichen Veröffentlichungen stehen bereits zur Verfügung?
Eine Auswahl themenbezogener Veröffentlichungen folgt. Diese verweisen wiederum auf zahlreiche weitere Studien von Kollegen und Forschungsinstituten in aller Welt.
Global estimates of mortality associated with long-term exposure to outdoor fine particulate matter
Burnett et al.:
Proceedings of the National Academy U S A. 115(38):9592-9597, doi: 10.1073/pnas.1803222115, 2018
Estimating health and economic benefits of reductions in air pollution
from agriculture
Despina Giannadaki, Elias Giannakis, Andrea Pozzer, Jos Lelieveld
Science of the Total Environment 622–623, 1304–1316, 2018.
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Age-dependent health risk from ambient air pollution: a modelling and data analysis of childhood mortality in middle-income and low-income countries
Jos Lelieveld, Andy Haines, Andrea Pozzer
Lancet Planet Health 2018; 2: e292–300, 2018.
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Air Pollution and Climate Change Effects on Allergies in the Anthropocene: Abundance, Interaction, and Modification of Allergens and Adjuvants.
Reinmuth-Selzle, K., C. J. Kampf, K. Lucas, N. Lang-Yona, J. Fröhlich-Nowoisky, M. Shiraiwa, P. S. J. Lakey, S. Lai, F. Liu, A. T. Kunert, K. Ziegler, F. Shen, R. Sagarbanti, B. Weber, I. Bellinghausen, J. Saloga, M. G. Weller, A. Duschl, D. Schuppan and U. Pöschl
Environmental Science & Technology 51 (8), 4119-4141, doi: 10.1021/acs.est.6b04908, 2017.
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Supplement
Chemists can help to solve the air-pollution health crisis
Jos Lelieveld and Ulrich Pöschl
Nature, 551, doi: 10.1038/d41586-017-05906-9, 13 November 2017.
Dokument zum Download 4,1 MB
Impact of agricultural emission reductions on fine particulate matter and public health
Andrea Pozzer, Alexandra P. Tsimpidi, Vlassis A. Karydis, Alexander de Meij, and Jos Lelieveld
Atmospheric Chemistry and Physics, doi:10.5194/acp-2017-390, 2017.
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Supplement
Aerosol Health Effects from Molecular to Global Scales.
Shiraiwa, M., K. Ueda, A. Pozzer, G. Lammel, C. J. Kampf, A. Fushimi, S. Enami, A. M. Arangio, J. Fröhlich-Nowoisky, Y. Fujitani, A. Furuyama, P. S. J. Lakey, J. Lelieveld, K. Lucas, Y. Morino, U. Pöschl, S. Takahama, A. Takami, H. Tong, B. Weber & A. Yoshino, K. Sato
Environmental Science & Technology 51, 13545-13567, doi:10.1021/acs.est.7b04417, 2017.
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Estimates and 25-year trends of the global burden of disease attributable to ambient air pollution: an analysis of data from the Global Burden of Diseases Study 2015.
Cohen AJ et al.
Lancet; 389:1907-1918, 2017.
What We Breathe Impacts Our Health: Improving Understanding of the Link between Air Pollution and Health
West, J. J., A. Cohen, F. Dentener, B. Brunekreef, T. Zhu, B. Armstrong, M. L. Bell, M. Brauer, G. Carmichael, D. L. Costa, D. W. Dockery, M. Kleeman, M. Krzyzanowski, N. Kunzli, C. Liousse, S.C.C. Lung, R. V. Martin, U. Pöschl, C. A. Pope, J. M. Roberts, A. G. Russell, C. Wiedinmyer
Environmental Science & Technology 50 (10), 4895-4904, 2016.
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Atmospheric Chemistry and Physics
J. Seinfeld and S. Pandis
John Wiley & Sons, New Jersey, ISBN9781112991173, 2016.
The contribution of outdoor air pollution sources to premature mortality on a global scale
Jos Lelieveld, John S. Evans, Despina Giannadaki, Mohammed Fnais und Andrea Pozzer
Nature, 17 September 2015; doi: 10.1038/nature15371, 2015.
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Multiphase Chemistry at the Atmosphere−Biosphere Interface Influencing Climate and Public Health in the Anthropocene
Pöschl, U. and M. Shiraiwa
Chemical Reviews 115, 4440−4475, 2015.
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Model calculated global, regional and megacity premature mortalitydue to air pollution
J. Lelieveld, C. Barlas, C. Giannadaki, and A. Pozzer
Atmospheric Chemistry and Physics, 13, 7023–7037, doi:10.5194/acp-13-7023-2013, 2013.
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Effects of business-as-usual anthropogenic emissions on air quality
A. Pozzer, P. Zimmermann, U.M. Doering, J. van Aardenne, H. Tost, F. Dentener, G. Janssens-Maenhout, and J. Lelieveld
Atmospheric Chemistry and Physics, 12, 6915-6937, doi.org/10.5194/acp-12-6915-2012, 2012.
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Supplement
Atmosphärische Aerosole: Zusammensetzung, Transformation, Klima- und Gesundheitseffekte
Ulrich Pöschl
Angewandte Chemie, 117, 7690 – 7712, 2005.
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Zudem der Hinweis auf folgende Meldungen des MPI für Chemie und weitere Informationsquellen:
Luftverschmutzung – eine unterschätzte Todesursache
Bei Kindern in armen Ländern erhöht Feinstaub die Sterblichkeit deutlich
https://www.mpic.de/4390455/luftverschmutzung-eine-unterschaetzte-todesursache?c=3477744
Weniger Dünger reduziert die Feinstaubbelastung
Die Senkung landwirtschaftlicher Ammoniakemissionen kann die Sterblichkeit durch Luftverschmutzung erheblich reduzieren.
https://www.mpic.de/4466172/weniger-duenger-reduziert-die-feinstaubbelastung?c=3477744
Externe Quellen
Atmen: Luftschadstoffe und Gesundheit
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V.,
Schulz et a., 2018
https://pneumologie.de/fileadmin/user_upload/DGP_Luftschadstoffe_Positionspapier_20181127.pdf
Umweltbundesamt: Feinstaub-Belastung
23. Oktober 2017
https://www.umweltbundesamt.de/daten/umwelt-gesundheit/gesundheitsrisiken-der-bevoelkerung-durch-feinstaub#textpart-1
Ambient air pollution: A global assessment of exposure and burden of disease
World Health Organisation (WHO), 2016:
https://www.who.int/phe/publications/air-pollution-global-assessment/en/
Feinstaub in unserer Luft
Die Debatte, 22. Januar 2019
https://www.die-debatte.org/feinstaub-definition/