Spannung in der Kinoluft

Kinobesucher verraten anhand ihres Atmens, welche Filmszene gerade läuft

10. Mai 2016

Bei manchen Filmen liegt die Spannung förmlich in der Luft – und das nicht nur im übertragenen Sinn. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben während verschiedener Filmvorführungen die Luft in Kinosälen analysiert und festgestellt: Jeder Film hinterlässt ein charakteristisches Muster in der Atemluft.

Ob eine Filmszene spannend, lustig oder eher langweilig ist, lässt sich somit neuerdings auch chemisch bestimmen. Die Mainzer Forscher untersuchten, wie sich die Zusammensetzung der Atemluft veränderte, während Zuschauer Filme unterschiedlicher Genres sahen: Komödien wie „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ und „Buddy“ oder Actionfilme wie „Der Hobbit“ und den Science Fiction-Thriller „Tribute von Panem“. Anhand der Substanzmuster ermittelten die Forscher, wie die Zuschauer auf einzelne Filme reagierten, und zwar Szene für Szene. So konnten sie anhand ihrer Analyse auch rekonstruieren, welche Szene sich auf der Leinwand gerade abspielte. Am eindeutigsten sind die chemischen Muster demnach bei spannenden oder lustigen Szenen.

„Die chemische Signatur der ‚Tribute von Panem‘ war sehr eindeutig; wir haben sie bei unterschiedlichem Publikum immer wieder gemessen“, sagt Jonathan Williams, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Chemie. „An der Stelle, an der die Heldin um ihr Leben kämpft, stiegen die Werte für Kohlendioxid und Isopren in der Abluft immer deutlich an“, ergänzt der Atmosphärenchemiker, der mit seinem Team sonst erforscht, welche Moleküle beispielsweise von Regenwäldern emittiert werden. Isopren ist eine von über 800 chemischen Verbindungen, die gesunde Menschen neben Kohlendioxid typischerweise in winzigen Mengen ausatmen. Welche physiologischen Prozesse der Bildung der Moleküle zugrunde liegen, ist jedoch weitgehend unbekannt.

Eine Erklärung für die ansteigenden Kohlendioxid- und Isoprenwerte sehen die Mainzer Wissenschaftler darin, dass sich die Kinobesucher bei aufregenden Filmszenen anspannen, unruhig werden und schneller atmen. Eine andere molekulare Spur als die Spannungsmomente erzeugten lustige Sequenzen in der Atemluft. „Wir können die Massenspektrogramme deutlich voneinander unterscheiden“, sagt Jonathan Williams. Die Forscher wissen aber noch nicht, um welche chemischen Verbindungen es sich genau handelt, die Zuschauer bei lustigen Szenen verstärkt ausatmen.

Der menschliche Beitrag zur globalen Konzentration atmosphärischer Spurengase

„Wir haben uns gefragt, ob sich Szenen, in denen unterschiedliche Gefühle angesprochen werden, chemisch voneinander unterscheiden lassen“, sagt Williams, der sich seit geraumer Zeit für den Atem von Menschenmassen interessiert und seine Geräte auch bereits während eines Fußballspiels im Mainzer Fußballstadion zum Einsatz brachte. Williams wollte nämlich herausfinden, ob der Atem der Menschheit wesentlich zu den Konzentrationen von Spurengasen wie etwa den Treibhausgasen Kohlendioxid und Isopren beiträgt. Der Analyse im Fußballstadion zufolge tut er das nicht, allerdings verlief die Partie auch wenig aufregend und endete 0:0. Daher wollten Jonathan Williams und seine Kollegen die menschlichen Emissionen während emotionalerer Erlebnisse analysieren und verfielen auf Kinovorführungen.

Neue Möglichkeiten für Forschung und Industrie

„Es scheint, dass wir eindeutig messen können, ob Spannung in der Luft liegt.“ Williams sieht in den Atem-Messungen ein großes Potenzial etwa für die Erforschung des menschlichen Atems, die Rückschlüsse auf den Stoffwechsel erlaubt. Messungen in der Atemluft großer Menschenmengen bieten so auch eine Alternative zu Studien an Individuen, für die zunehmend ethische Hürden errichtet werden.

Studien der Atemluft größerer Menschenmengen könnten aber auch praktische Anwendungen finden. So könnte beispielsweise die Werbeindustrie schnell und objektiv messen, wie emotionale Reize auf eine ganze Gruppe von Menschen wirken, ohne langwierige Umfragen durchführen zu müssen.

Attribute für Filmszenen und Messgeräte im Technikraum

Insgesamt 16 verschiedene Filme, die mehrfach, jeweils vor unterschiedlich großem Publikum gezeigt wurden, bezog das Team in seine Studie ein. So brachte es allein „Der Hobbit“ auf 15 Wiederholungen. Allen Szenen sämtlicher Filme gaben die Wissenschaftler inhaltliche und relativ gut objektivierbare Attribute, um sie den 30-sekündigen Messintervallen zuordnen zu können. Dazu beurteilte jeder Wissenschaftler unabhängig von seinen Kollegen jede einzelne Szene danach, ob es sich beispielsweise um Komik, Dialog oder Kampf handelte. Nur wenn die Einschätzungen von mehreren übereinstimmten, erhielt eine Szene das jeweilige Attribut.

Für die Messungen installierten die Forscher ihre Messgeräte im Technikraum des Kinos, um in der Abluft des Kinos Kohlendioxid und einhundert weitere chemische Komponenten aus dem Atem des Publikums zu bestimmen. Zu diesem Zweck nutzten sie Massenspektrometer, die alle 30 Sekunden eine Messung machten. Dabei werden chemische Moleküle zunächst ionisiert und in einem elektrischen Feld beschleunigt. Anhand der Verteilung von Ladung zu Masse bestimmt ein Analysator anschließend, um welche Moleküle es sich handelt.

Für die Auswertung der Daten holte sich Jonathan Williams Unterstützung bei Stefan Kramer, Professor am Institut für Informatik der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität. Sein Institut ist weltweit mitführend im Bereich der systematischen Datenerhebung und -auswertung, dem sogenannten Data Mining. „Ein statistisch eindeutiges chemisches Signal haben wir bei lustigen oder spannenden Szenen erhalten, und können diese sogar erkennen, ohne den Film zu sehen“, sagt Jörg Wicker von der JGU, der die Auswertungsalgorithmen entwickelt hat. Die Informatiker sind bereits auf die Fortsetzung der Studie gespannt: Derzeit werten die Forscher nämlich aus, welche Spuren der Blockbuster „Star Wars“ in der Atemluft der Zuschauer hinterließ.

 

Danksagung

Das Forscherteam dankt dem Unternehmen Kino Cinestar in Mainz und besonders dem Leiter, Herrn Wulf und dem Cheftechniker, Herrn Kessler für die hervorragende Zusammenarbeit, ohne die die vorliegenden Forschungs-ergebnisse nicht zustande gekommen wären.

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